Sage vom Diebstahl des Silberlöffels

Der Sage vom gestohlenen Silberlöffel wahrscheinlich zugrundeliegender Sachverhalt, erzählt nach Kriminalakten[1]

Marterl (aus Helfenberger Granit) und Hinweistafel oberhalb des Schlosses Tollet "Der Kanzleischreiber Johann Josef Winklehner hat soeben die Verlesung der herrschaftlich Sprinzenstein'schen Grundholden und Pupillen von Tollet, Manglburg, St. Georgen und Tolleter au beendet. Jeder Aufgerufene war zum klobigen Eichentisch vorgetreten und hatte das aufhabende Rüstgeld mit saurer Miene in die Hände des dürren, schielenden Hofamtmannes Augustin Griesmayr gelegt. Nun möchten sie aber schon fort, die Manner! Es hat übrigens lange bereits gedauert und die häusliche Arbeit verlangt ihr Recht. Ungeduldig waren sie auf die Entlassung des gestrengen Pflegverwalters Georg Ignaz Depill, der sich jedoch Weile läßt, die Rüstgelder sorgsam nachzählt und mit der Endsumme des Verzeichnisses vergleicht, dann zur mächtigen Kassatruhe geht und die mühsam erarbeiteten Münzen umständlich verwahrt.

"Gengma aso", raunte der alte, breitschultrige Hufschmied Mühlnerberger dem dicken Hofwirt zu, "han kei Zeit mehr, wart't bei mir der Reisinger Sepp mit zwo Pferden zum Beschlagen." Doch traute sich keiner, dem zur Tür schreitenden Hufschmied zu folgen, weder der Hofwirt, noch die übrigen Manner.

"Dass sich koaner von der Stell rührt", erscholl plötzlich die zornhafte Stimme des feisten Verwalters. "Wir san miteinand, noch nit ferti und überhaupts, ehzuvor ich nit gnädige Dimissio erteilt hab, hat koaner von euch sakrischen Bauernschädeln einen Raunzer zu tan".

Die Manner starrten teils lächelnd ob der Aufgeregtheit des Gestrengen, teils erbost ob seiner Grobheit. "Bevor ich den Amtstag konkludiere", fuhr Depill fort, "hab ich eng noch folgendes zu sagen. Es ist ja auch unter eng lautmärisch geworden, dass ich aus dem herrschaftlichen Eisengewölb' hier im Schloß viel Blei und Röhren und anderem frecher Weis' entwendet wurde. Es sei eng allen eingebunden: Meine hochgnädige Herrschaft wird derowegen solang und soviel inquirieren lassen, bis man den verdammten Dieb gefänglich eingebracht und ohn' Federlesens produziert hat. Der wird aber nit etwan nur gewandelt oder gestockt oder gepflöckt, sondern dem hangen wir nach erfolgtem Prozesse an einen neuen Galgen zu abschröcklichen Beispiel auf. Denkt's drüber nach, fragt's um und wenn aner etwas inne wird, so kommt er zu mir und tut hieven offenkundig Meldung, verstanden und jetzo schließ i den Amtstag. Könnt's hoam gehn!"

Es dauerte kaum ein Weilchen, so war die geräumige Amtsstube geleert. Nur die Beisitzer verhielten sich noch plaudernd in der tiefen Fensternische. Der Hufschmied hatte es eilig, in seine Werkstatt zu kommen, im Schloßhof stand er aber doch ein Eichtel still und lachte mit seiner Bärenstimme: "Mit dem Galgen wird's wohl nit so husig werd'n. Wegen etlicher elender Brunnröhren hängt man an Menschen nit glei zu Tod und enda müssens eahm hab'n den Malefizdieb!"

Die Worte des Gestrengen lasteten aber doch den heimtrottenden Männern auf Herz und Nieren, und als der alte Angermayrbauer von Unterstötten, Sebastian Ganglmayr in seinen Hof kam und dort seinen Sohn Balthasar antraf, erzählte er ihm von dem Gehörten und schloß seine Rede also: "Baltl, es verlanget mir wahrlich nit, das Trünkgeld mit dem Dieb, der im Schloß Tollet immerhin soviel entwendet, zu teilen. Es wird ihm nach Drohung des gnädigen Herrn Pflegers artlich ergehn, wenn er erst aufmärisch werd'n tät, Walt's Gott, dass der Schliffl, wann er's hört, wie's eahm ergehen sollt, von ferneren Diebereien abgeschröckt sein werdet. Wer woaß, leicht visitierens auch nochmalen die Häuser, wie's es schon vor Weihnachten gemacht hab'n."

Der Baltl hatte darauf nur einen Lacher: "Vata, den Dieb, wie i mir eahm vorstell', fangen's nimmer, der is den Gestrengen gar zu viel über's Mäul vollnehma, das kunntens, aba zum Habhaftwerden hat's noch alle Weil. Itzt gah i ins Wied hack'n, kimms'd eh nach, wann's dich umzog'n hast, Vata?" Damit stand der überschlanke, aber nervige junge Mann auf und verließ die Stube.

Es war wenige Wochen später. Das verfloßene Jahr 1738 hatte dem Lande viel Ungemach an Kriegssteuern und Lieferungen gebracht. Wütete doch im fernen Osten auch jetzt noch der unselige Türkenkrieg, der nicht mehr unter dem Stern des glückhaften Prinzen Eugenii stand, sondern von unfähigen kaiserlichen Generalen geführt wurde und eine Hiobsbotschaft nach der anderen ins Hinterland brachte. Dem Pflegsverwalter war nun gestern abends durch einen Boten aus Linz zu Ohren gekommen, dass die Landstände eine Instruktion ablassen würden, wonach sämtliches in Schlössern, Klöstern und Bürgerhäusern vorhandene Blei, Zinn und Kupfer abzuliefern sei, um es zu Kriegszwecken zu verarbeiten. Depill wollte daher heute nachsehen, was an solchem Material noch im Schlosse lagere und begab sich zeitlich früh mit seinem Schreiber in das Eisengewölbe, das sich neben den Pferdestallungen befand. Mußte ja dort noch viel Brauchbares zu Handen sein!

Mit zwei mächtigen Schlüsseln öffnete der Schreiber die eisenbeschlagene Tür. Das einzige, mit einem Zwerchgitter verwahrte Fenster, das in den Fasangarten ging, warf nur mattes Licht in den gewölbten Raum, worin man eine Kartaune auf hölzerne Lafette, zwei italienische Mortaren oder Mörser, einen Haufen massivee Kugeln und an ein Wandgestell gelehnt eine Anzahl plumper Arkebusen und Musketen wahrnehmen konnte. Darauf warf der Verwalter keinen Blick, umsomehr aber zu seiner Linken, wo er einen ganzen Stapel von Bleiröhren, Eisenstangen und Geräten aus Zinn und Kupfer liegen wußte. Doch sein Blick wurde starr, der Platz war fast leer. "Winklehner", rief er erschrocken, "der unschambare Dieb muß abermalen dagewesen sein. Hat den Überrest des Bleis völlig herausgenommen, dass man jetzo in Sorgen sein muß, wie man nur das herrschaftliche Geschloß in Sicherheit stellen und den hochmögenden Landständen etwas liefern könntet. Ein Mirakel fürwahr, wie dieser Diebskerl durch das Zwerchgitter hat herein und mit der schweren Sach wieder hinaus gelangen können, denn das Türschloß ist unversehrt. Das Schießwerk freilich hat er liegen lassen, war ihm zu schwar und zu plempert, sunst hätt es eahm gewiß auch noch taugt. Aber i werd' dem Gankerl schon noch die Gurasch abfaillen. Ich weiß dazu itzt ein Mittel, das probat sein wird."

Wütend stapfte der Verwalter aus dem Eisengewölbe, das der Schreiber sorgsam verschloß. Depill aber eilte voraus zur Kanzlei, um dort einen Anschlag zu Papier zu bringen, worin er eine Belohnung von 20 fl. dem Judas zusichern wollte, der den Täter verriete. Als er aber seiner Amtsstube nahte, stand davor der Reinthaler Hieß vom Schilchergut zu Unterstötten, drehte verlegen seinen Schlapphut und gigatzte auf die barsche Frage des Gestrengen, was er denn gra heut' zur Unzeit wolle: "Hätt' äbbs von Wichtigkeit Euer Gestrengen zu vermelden wegen des entfremdeten Bleus." Da ging dem Dickwanst das Gesicht auseinander und er girte freundlich: "So, so, Reinthaller, das is recht; werden gleich ein facti spedes mit dir anstellen, komm herein!".

Das Verhör begann, der Schreiber nahm einen frischen Bogen zur Hand, um das Protokoll zu führen. Der Bauernknecht wies zunächst einiges klein zerhacktes Blei, bei fünf Pfund wiegend vor mit Vermelden, er habe es dem Fiechtjodel-Buam Leopold um 30 kr. abgekauft und der habe es wieder vom Angermayr Hieß überkommen. Da er, Reinthaller, von den Diebstählen im Schloß Tollet und auch davon Kenntnis gehabt, dass die beiden Angermayr-Söhne, der Baltl und der Hieß, wie auch ihr Schwager Zacharias Hofinger, Unterstöttner Leuten soliches Blei verkauft hätten, so wäre ihm die Sach verdächtig fürkommen und er tät gehorsamst auf die beiden Angermayr, vorab den schlanken Baltl, Anzeig machen.

"Wird wohl in summa stimben", ließ sich Depill erfreut vernehmen, sandte den Schreiber mit einem ihm zugeflüsterten Befehl fort und behielt den Reinthaller noch in der Stube, denn Warner konnte er jetzt nicht brauchen. Die zwanzig Gulden Belohnung hatte er nun der Herrschaft erspart, aber zwei Gulden gab er dem braven Anzeiger doch in Güte. Stimmte seine Aussage, so hatte sich das Judasgeld hundertmal verlohnt.

So kam denn der Baltl Ganglmayr, der auf die Warnung seines alten Vaters nur einen Lacher gehabt hatte, Ende Mai 1739 in das dumpfe Verließ des Landgerichtes im Schlosse Tollet und wurde bis Oktober vier gültlichen Verhören unterzogen. Ohne besonderes Zureden gestand er zu nächst drei Einbrüche durch das Zwerchgitter in das Eisengewölbe, zwei im Winter, den letzten vor drei Wochen, ein, wobei er eine Menge ganzer und halber Bleiröhren, Eisenstangen und zwei messingene Stiefel für das Brunnwerk entwendet und durch das Gitter ins Freie gebracht habe. Weiter gab er zu, bei der wertvollen herrschaftlichen Wasserkunst ein starkes Bleirohr mit den Händen abgedreht, von den beiden Toren des Fasangartens die eisernen Riegel ausgehoben, von dem eisernen Rechen im Mühlbach nächst der Haozmühle eine Eisenstange mit daranhangenden Zapfen gestohlen zu haben, wodurch der Herrschaft, namentlich durch das völlige Ausschwimmen der Fische, großer Schaden erwachsen war. Zum Überflusse und ohne Nötigung bekannte Baltl noch einige Gelddiebstähle an Bekannten von Tollet, Unterstötten und Taufkirchen ein, die aber bereits vor acht bis zehn Jahren erfolgt seien.

Auf die Frage des Landrichters Depill und des Verwalters, wozu er denn die vielen Sachen gestohlen habe, erwiderte Ganglmayr zögernd: "Dem Kaiser und sanen Soldaten soll's im Türkenkrieg soviel lötz geh'n. Hab'n kan Proviant, koa Montur, z'weng Munition. Han i mir halt denkt, kunnt der Kaiser leicht viel Blei und Eisen brauchen, um drauß Kugeln zu gießen. Han i's Blei zum Waizhofer, bürgerlichen Handelsmann, nach Neumarkt tragen, weil i gewüßt hab, dass er soliches gern kauft. Han eahm g'sagt, er möcht's für'n Kaiser aufheb'n und bei Gelegnheit nach Wean abi schicken. Hat er mir auch alles und die Messingstiefel Bleicherweis ausbezahlt. Das übrige han im unter der Hand kleinweis verkauft an Kameraden. So dem Hufschmied am Rabenegg Fridwagner 28 Stängel aus dem Eisengitter vom Fischrechen und anderes mehr."

Depill mußte lächeln. So war also der Angeklagte der Absicht der Landstände schon zuvorgekommen und wollte dem Kaiser, allerdings mit gestohlenen Blei aushelfen. Mochte es auch nur eine Ausrede des Baltl sein, um Mitleid zu erwecken, klug ausgedacht war sie unbedingt. Natürlich hatte der Waizhofer in Neumarkt längst das übernommene Blei und Eisen anderweitig verkauft, wie sein Verhör zeigte, und sich keinen Deut um das Ansinnen des Ganglmayr geschert. Helfen würde das Geständnis dem Delinquenten übrigens wohl kaum, die Linzer Rechtsgelahrten und der Bannrichter ließen sich durch derlei Mätzchen gewißlich nicht vom Wege der unbestechlichen Justitia vindicativa ablenken. - Also liefen jetzt die Gedanken Depills.

Auf die weitere Frage an den Malefikanten, was ihm denn zum Stehlen verleitet habe, bekannte dieser reumütig: "Is halt durch meinige Liederlichkeit und weil ich gern mit liederlicher Gesellschaft ins Tanzen und Köglscheiben gangen bin, verursacht worden. Auch war halt der Lohn gar gering."

Die Akten kamen nach Linz und die beiden Advokaten Dr. Rechseisen und Dr. Bressern stellten in ihrem Parere die Rechnung über Leben oder Tod des Angeklagten. Nach der oberösterreichischen Landgerichtsordnung bildeten 25 fl. als Schätzwert des entfremdeten Gutes die äußerste Grenze, unter der von der Todesstrafe noch abgesehen werden durfte. Die Rechtsanwälte errechneten allerdings, dass der Baltl etwas weniger für die verkauften Gegenstände eingenommen, doch mußten sie schließlich den wirklichen Wert derselben für die Herrschaft mit mindestens 56 fl. ansetzen, ohne die früher zurückliegenden Diebstähle in Betracht zu ziehen. So war also trotz mancher mildernder Umstände das Los des Delinquenten besiegelt und der Land- und Bannrichter Doktor Franz Anton von Kirchstetten konnte nur ein Todesurteil ausfertigen.

Am 26. November 1739 bestieg denn Balthasar Ganglmayr, 32 Jahre alt, Bestandbleicher der Herrschaft Tollet die verhängnisvolle Treppe und wurde vom Freimann Meister Bonifaz Sindhöringer am neu errichteten Galgen kunstgerecht aufgehängt.

Viel Volk stand um die Richtstätte und der Hufschmied Mühlnerberger schluchzte unter Tränen: "Schad is um den jungen, rüegsamen Buam! Hätt nia denkt, dass g'stohln's Bleu solch halsbrechend Schindergwicht haben könnt!""

[1]  Weigl Alois, unveröffentlichtes Manuskript, S 70ff; Aktenquellen sind nicht angegeben

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